Jonathan Kohl: Alumnus, Co-Gründer und CEO des Berliner Startups Seniovo

Ein Start-up auf die Beine zu stellen, das länger als zwei Jahre besteht, ist eine Leistung – hier beschreibt ein Absolvent unserer Hochschule seinen Weg.

Sieben Top-Skills brauchen erfolgreiche Gründer – heißt es auf starting-up.de: Ausdauer – Kreativität – Risikobereitschaft – Multi-Talent – Visionen – Kritikfähigkeit – Einfachheit. All das passt. Für Jonathan Kohl fehlt aber noch mindestens ein wichtiges Element – Leidenschaft.

Stop and go unterwegs – mit viel Ausdauer, bis irgendwann eine Idee gepasst hat

„Ich wollte schon immer ein eigenes Unternehmen gründen, habe über Gründungsideen meine 5. SCA, eine Hausarbeit im Bachelor-Studium, geschrieben. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Wir haben in den Study Cases viel über tragfähige Ideen, Businesspläne gelernt und mit Sparringspartnern über USPs, Markteroberungsstrategien und Kundenbedürfnisse gesprochen. Das hat mich sehr beschäftigt. Aber es war lange nicht klar, was es einmal werden könnte. Mein Mitgründer und ich, wir hatten zwar viele interessante Ideen, z. B. ein Fitnessrestaurant, haben uns aber letztlich immer gefragt, braucht das wirklich jemand? Wofür können wir uns voll und ganz begeistern?“ beschreibt Jonathan Kohl die ersten Anläufe. Dabei hatte der Student der Wirtschaftswissenschaften mit Spezialisierung Tourismusmanagement zuerst viel in Richtung Elektromobilität gedacht. Daraus wurde schließlich eine sehr kurzlebige lokale Autovermietung.

Erst nachdem er während und zwischen Bachelorstudium an der bbw Hochschule und Master an der TU Berlin praktisch im Stop-and-go drei Startups von innen gesehen und die spezielle Kultur ihrer Anfangsphasen erlebt hatte, wusste er: „Es sollte ein Unternehmen sein, das online läuft, aber auch eins, das etwas Bedeutsameres als nur E-Commerce oder z. B. Livestyle-Produkte macht. Als wir dann irgendwann in einem ‚Funpreneur-Wettbewerb‛ gemeinsam an der Idee gefeilt haben, wussten mein Mitgründer und ich, dass wir nur etwas machen wollten, das praktische Probleme löst, etwas, das für die Menschen tatsächlich relevant ist und ihr Leben verbessern kann.“ Nachdem er in seinem privaten Umfeld miterleben musste, wie anstrengend es für Angehörige ist, für einen Pflegebedürftigen Unterstützung und vor allem möglichst lange ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen und sein Co-Gründer ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, waren sie ihrer Gründungsidee einen großen Schritt näher.

PropTech oder Social Entrepreneurship – Hauptsache die Vision und Begeisterung stimmen

Mit diesem Ziel hat er vor drei Jahren mit seinem Studienfreund Justus Klocke die Seniovo GmbH gegründet – und damit die Idee umgesetzt, die gleichzeitig einen Teil des Pflege- und des Immobilienmarktes in Deutschland digital revolutioniert hat. Denn das Startup realisiert für Senioren und Pflegebedürftige Umbaumaßnahmen für altersgerechtes, barrierefreies Wohnen mit komplett digitalisierten Managementprozessen. „Wir haben alles integriert, was möglich war, Marketing, Vertrieb, Kapazitätsplanung, Zusammenarbeit und Kommunikation mit Kunden und Partnern, Controlling – intern und extern – alles läuft über eine Plattform im Web. Weil das Team von Jonathan Kohl und Justus Klocke mit der Integration aller Prozesse, den bisherigen Status Quo der Immobilienbranche umgekrempelt hatte, wird sein Unternehmen gern zu den wenigen funktionierenden PropTech-Unternehmen bundesweit gezählt. Gleichzeitig könnte man Seniovo wie Christoph Raethke, der Gründer der Berlin Startup Academy sagt, zu dem kleinen Kreis „überzeugend“ funktionierender Unternehmen aus dem Bereich Social Entrepreneurships1 rechnen, weil Seniovo auch einen durchaus gesellschaftlich relevanten sozialen Fokus hat. Die Kombination aus sinnstiftendem werthaltigem Wirtschaften und schnellem Wachstum durch die Möglichkeiten von innovativen und digitalen Prozessen ist genau dass, was den Charme ausmacht.

So einfach, so gut – mit unternehmerischer DNA und Kreativität durchs Anfangschaos

Inzwischen ist Seniovo beinahe aus dem Gröbsten raus. Es hat die ersten drei Jahre, die, wie nicht anders zu erwarten, auch manchmal chaotisch waren, gut, mit viel Learning by doing und kreativen Einfällen überstanden. Auch ohne Kicker. „Harte Arbeit gehörte auf jeden Fall dazu. Aber, wenn man so wie wir von 600 privaten Pflegediensten etwa 400 besucht hat und sich sicher ist, dass die Idee Riesenpotenzial hat und so funktionieren kann, steckt man gern alle Kraft in sein Projekt“, sagt CEO Kohl. Statt anfangs zwei, koordinieren aktuell 21 festangestellte, junge und erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, meist Wirtschaftsingenieure, BWLer und Monteure, die Beratung, Anträge bei Kranken- und Pflegekassen oder der KfW und schließlich die Arbeit der Partner-Handwerksbetriebe in inzwischen 13 größeren bundesdeutschen Städten und Umgebung.

Zusätzlich gibt es vier Werkstudentinnen und Praktikantinnen. Dazu kommen viele Freiberufler als Außendienstler. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass Bäder soweit möglich unter Nutzung von Fördermitteln umgebaut werden können – vollsaniert oder Wannen zu Duschen, Duschen zu Duschen … Dabei vermittelt Seniovo die Handwerker nicht nur, sondern begleitet den gesamten Umbau verantwortlich als Generalunternehmer.

Start-up als Karriereschmiede für Multi-Talente – denn hier muss jeder jede Menge können

Über Jonathan Kohls Familie, in der es einige Ärzte gibt, kommt, so vermutet er, seine soziale Ader – aus seinem wirtschaftswissenschaftlichen Studium das marktorientierte Denken. Mitgründer Klocke brachte seine Leidenschaft fürs Bauen und Handwerk ein. So haben sie zusammen einen für sie beide neuen Markt mit großem Potenzial für eine tragfähige Gründungsidee entdeckt, über die jeder seine Talente weiterentwickeln konnte. Ein Vorteil ist, dass ihr Geschäftsmodell skalierbar ist und nach Kraft, Lust und Gelegenheit regional ausgeweitet oder wieder reduziert werden kann. „Die Herausforderung war irgendwann, als wir nicht mehr alles zu zweit oder zu dritt machen konnten, die richtige Personalauswahl zu treffen und ein gutes Klima zu schaffen, damit wir wachsen konnten und die wichtigsten Leute bleiben – oder zumindest bei Personalwechseln das Know-how nicht weniger wird“, erklärt Jonathan Kohl. Das war umso wichtiger, je mehr Standorte im Bundesgebiet erschlossen wurden. „Wir brauchen dafür IT-Spezialisten, Baufachleute, Kundendienst- und Salesprofis, Logistikfachleute, Leute mit guten Kenntnissen der Pflegeproblematiken und -produkte, Leute mit Fördermittel-Know-how. Sonst läuft nichts. Da muss in bestimmten Grenzen jeder auch beweglich sein.

Wir brauchen Mitarbeiterinnen, die auch mal zusätzliche und neue Aufgaben übernehmen und schnell von anderen lernen“, sagt er und ergänzt: „Mitte 2018 hatten wir allein fünf Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen bzw. Praktikanten aus der bbw Hochschule. Weil wir mit ihnen gute Erfahrungen gemacht haben, würde ich auch einen Logistikerin, den bzw. die wir gerade suchen, gern aus meiner ehemaligen Hochschule holen und einem Absolventen oder einer Absolventin des Supply Chain Managements die Position als Operation Manager anbieten.“ Wie in anderen Start-ups bewerben sich natürlich auch hier viele Berufseinsteiger und kaum jemand, der auf die Rente hinarbeiten möchte. Viele Mitarbeiterinnen haben in Start-ups einen Altersdurchschnitt, der deutlich unter 30 Jahren liegt, bei Seniovo liegt er um die 27. Natürlich sind sich auch hier alle der Risiken bewusst, die oft in der aufgeregten Dynamik kleiner Firmen liegen, in denen alle per Du sind und sich der Arbeitsalltag oft wie der in einer Wohngemeinschaft anfühlen muss.

Alle kennen die große Begeisterung, wenn es läuft, aber auch die leise Frustration, wenn die Auftragslage dünn ist. Und jeder weiß, dass selbst bekannte Start-ups wie „Dawanda“ plötzlich aus dem Orbit verschwinden können. Deshalb arbeiten alle daran, dass es ihrem Unternehmen nicht so ergeht. Die meisten Bewerberinnen und Mitarbeiter*innen schätzen aber auch, dass man in Start-ups schnell aufsteigen kann. Das macht auch Seniovo attraktiv. „Anfang 2019 wird bei uns ein Mitarbeiter zum Regionalleiter, der hier als Praktikant begonnen hat, dann festangestellter Teamassistent wurde, schließlich zum Teamleiter und nach zwei Jahren Accountmanager geworden ist – das schafft man in keinem Oldschool-Unternehmen.

Das gehört natürlich auch zur Start-up-DNA. Wir haben viele tolle Leute, Mitarbeiterinnen, die motiviert sind und gern herkommen. Sicher nicht nur, weil wir einmal im Monat zusammen feiern“, fasst Jonathan Kohl zusammen. „Diese Art zusammen zu arbeiten, treibt meine und die Lernkurven der Kolleginnen nach oben, fördert Gemeinschaftssinn und hält die Hierarchien flach. Das ist ein echter Vorteil, der uns flexibler macht und den wir bewusst nutzen.“

Kein Erfolg ohne Risikobereitschaft – Investorenkonsortium ist im Boot

Das Unternehmen läuft gut, aber es soll sich bald rentieren. Damit das auch im bundesweiten Maßstab gelingen kann, hat Jonathan Kohl, der das Unternehmen inzwischen allein führt, ein Investorenkonsortium unter Beteiligung der Berliner Investitionsbank (IBB) und dem VC Probtech 1 ins Boot geholt und von seinem Geschäftsmodell überzeugt. Die siebenstellige Förderung ist ein Vertrauensbonus, aber auch Impuls und Absicherung für den künftigen Geschäftserfolg, für den die Voraussetzungen nun besonders günstig sind.

Seniovo hat bis jetzt gerade einmal einen Konkurrenten, der vergleichbare Komplettpakete für Treppenlifte bietet. Offenbar ist es dem wachsenden Berliner Start-up gelungen, sich drei Jahre so gut wie konkurrenzfrei in einem Markt zu etablieren, in den sich Nachahmer noch nicht trauen.

Auch, wenn das Geschäftsmodell einfach ist – ein kritischer Blick lohnt sich immer. Es sind vier simple Botschaften, die das Leistungspaket beschreiben: Individuelle Beratung – Fördermittelcheck – Fördermittel-Zusage – Sorgenfreier Umbau. Das klingt machbar für den Kunden und erleichternd. Weil hinter diesen einfachen Keywords aber viel selbst entwickelte komplexe, digitale Technologie und überlebenswichtige Vernetzung stecken, weiß Jonathan Kohl, dass sie für einen jungen Gründer auch Fallstricke bedeuten können.

Deshalb ist ihm der Austausch mit seinen erfahrenen Investoren, aber auch mit anderen Gründern wichtig. Schon in der Ideen- und Businessplanphase haben er und sein Kompagnon Mentoren vertraut. Und auch jetzt achtet der junge CEO darauf, sich mit Menschen zu umgeben, denen er einen kritischen Blick zutraut und die Ratschläge geben können. Deshalb trifft er sich einmal im Quartal mit seinem Gründerstammtisch. „Das sind etwa 20 Start-up-Gründer, die sich austauschen, gegenseitig unterstützen und vor Fehlern bewahren möchten. Dabei geht es z. B. um Trends, Best Practices, rechtliche Probleme, Finanzierung, Steuern … Man kann gar nicht alles wissen, aber darüber zu sprechen und kritikfähig zu sein, hat mir schon manches Mal geholfen und ist immer ein Gewinn“, sagt er. Gut für ein sympathisches Unternehmen, das ein bbw Hochschulabsolvent mitgegründet hat, das wirtschaftlich arbeiten kann und zusätzlich sozialen Impact bietet.

(Quelle: „Jahresbericht 2018 der bbw Gruppe, Menschen und Geschichten, bbw Bildungswerk der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg e.V., Berln, S. 36-39)

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